Alexis Waltz on Mon, 28 Apr 2003 13:22:39 +0200 (CEST) |
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[rohrpost] Tagebuch zum Krieg. Von Harun Farocki |
Der Tod der anderen Tagebuch zum Krieg. Von Harun Farocki 18. März 2003 1944 machten Aufklärungsfotografen der US-Luftwaffe Aufnahmen von den Anlagen zur Herstellung von synthetischem Gummi und Benzin in Monowitz / Polen. Ohne es zu wollen und ohne es zu bemerken, erfassten sie dabei auch einige der Lager von Auschwitz. Diese Bilder wurden erst 1977 veröffentlicht. Die zuführenden Bahngleise lassen sich identifizieren, eine Wand, an der Exekutionen vorgenommen wurden, das Haus des Kommandanten, selbst die Schächte auf den Dächern der Gaskammern, durch die das Zyklon-B geworfen wurde, zeichnen sich ab. In der Distanz von 7 000 Metern ist der einzelne Mensch kaum mehr als ein Bildpunkt, Menschen in Gruppen sind als Muster erkenntlich, eine Gruppe bewegt sich von den Bahngleisen zum Lager, eine andere steht in einer s- förmigen Windung auf dem Hof Schlange, um registriert zu werden. Eine dritte bewegt sich zur Gaskammer beim Krematorium 4, das Tor zum Hof steht schon offen. Diese Bilder schienen mir damals ein angemessenes Mittel zur Darstellung der Lager, weil sie zu den Opfern eine Distanz halten. Anders als die Bilder aus der Nähe: Bilder von der Selektion auf der Rampe, Bilder der ausgehungerten Häftlinge in den Schlafräumen, der Leichenberge, die der Bulldozer wegräumt. Mit solchen Bildern wurde den Opfern noch einmal symbolisch Gewalt angetan und auch bei bester Absicht wurde von ihnen ein Gebrauch gemacht. Mit dem Krieg der Alliierten gegen den Irak wurde aus den Luftbildern ein alltägliches Mittel der Berichterstatung. Die TV-Stationen wurden mit schwarz- weißen Bildern mit dem Fadenkreuz im Zentrum überschwemmt, die entweder die Aufsicht auf ein Ziel gaben, in die ein Projektil einschlug. Oder die aus dem Kopf eines Projektils übertragen wurden, die den Anflug auf ein Ziel zeigten, bei dessen Erreichen das Bild abriss. Von diesen Bildern sagte Virilio, sie zielten auf uns. Diese Bilder sind eine Propaganda neuen Typs. Sie sehen sachlich aus – wie ein technischer Vollzug – und unterschlagen, dass es viele menschliche Opfer in diesem Krieg gibt. Es ist auch bezeugt, dass es Bilder gibt, auf denen Menschen im Zielgebiet zu sehen sind – aber das ist kaum zu beweisen. Die Bilder werden vom Militär erzeugt wie kontrolliert. Kriegsführung und - berichterstattung fallen hier zusammen. Die Gegenseite hat ebenso Gründe gehabt, die menschlichen Opfer nicht zu zeigen. Das soll nicht heißen, dass man die Bilder der Verletzten und Toten hätte zeigen sollen. Es ist nur zu deutlich, dass uns diese Bilder nicht aus guten Gründen erspart bleiben. Als Bush am 16. März auf den Azoren den Giftgasangriff der irakischen Führung ansprach, gab es auf einmal Bilder von Toten auf den Straßen von K. zu sehen. Schreckliche Bilder – vor 17 Jahren aufgenommen, als der Irak noch den Iran bekämpfte und von den USA unterstützt wurde – jetzt ausgespielt wie ein Trumpf. In Tagträumen habe ich oft gedacht, dass ein guter Text, eine gute Fernseharbeit auf die vielen schlechten Texte und Bilder angewiesen sind, von denen sie sich absetzen wollen. Sind die guten Autoren nicht Ausbeuter der schlechten, so wie die hoch qualifizierte Arbeit als Unterfutter die massenhafte, ungelernte braucht? Wenn es um den Krieg geht, wie kann man da beim Schreiben oder Filmen vermeiden, mit den entstellten Körpern Geschäfte oder Politik zu machen? 19. März 2003 Zur Wappnung ein paar Worte von Serge Daney: »Das Bild steht immer an der Front der Auseinandersetzung zwischen zwei Kraftfeldern, es ist dazu verdammt, eine bestimmte Andersheit zu bezeugen, und es fehlt ihm immer etwas, obwohl es stets einen harten Kern besitzt. Das Bild ist immer mehr und zugleich auch weniger als es selbst. »In ernsten Zeiten sind dumme Bilder und Wörter schwer zu ertragen. Die dummen Bilder sind nicht solche, die ihr Ziel verfehlen und etwas anderes treffen – in Analogie zu den »dummen Bomben«, die schon zum geflügelten Wort geworden sind. »Um mir das Leben nicht weiter zu komplizieren, entschloss ich mich, zwischen dem ›Bild‹ und dem ›Visuellen‹ eine klare Unterscheidung zu treffen. Unter dem Visuellen verstehe ich die optische Verifikation eines rein technischen Funktionierens. Das Visuelle kennt keinen Gegenschuss, ihm fehlt nichts, es ist abgeschlossen, kreisförmig in sich zurücklaufend, ein wenig von der Art des pornografischen Spektakels, das nichts weiter ist als die ekstatische Verifikation des Funktionierens der Organe.« (Serge Daney: Von der Welt ins Bild – Augenzeugenberichte eines Cinephilen. Berlin, 2000) 20. März 2003 Im Kino und Fernsehen ist der Tod – radikaler noch als im Seelenleben – der Tod der anderen. Ich bin der Betrachter – ich sehe andere sterben, aber der Film wird weitergehen oder sich fortsetzen, also werde ich ewig leben. In Kriegszeiten kann ich die Bilder, die ich gerade gesehen habe, gleich nochmals auf demselben Kanal oder einem anderen sehen. In einer Kolumne einer Filmzeitschrift hat Peter Handke einmal von der Erfahrung mit billigen Nachtprogrammfilmen geschrieben, die in Rom begonnen werden und nach einer Insolvenz der Produktion in Berlin fortgesetzt werden. Nichts ist unheimlicher, als wenn Darsteller aus einer Filmerzählung spurlos verschwinden! Das ist der Erfahrung des Todes näher als das Bild eines Sterbenden, dessen Sterben, weil Wert in einem dramaturgischen Kalkül, auch noch etwas wie einen Sinn bekommt. Am 11. September bemerkte ich, dass einem Moderator, der um die Mittagszeit in das Studio gekommen war, inzwischen Bartstoppeln gewachsen waren. So etwas hatte ich noch nie gesehen und das belegte den Ausnahmefall besser als all die Beteuerungen, nichts werde mehr so sein wie bisher. Dass einem während der Fernsehsendung der Bart wächst, das ist so erschreckend wie dass einem nach dem Tod der Bart noch nachwächst. 21. März 2003 Rache für den 11. September: Jetzt haben die USA etwas in Gang gesetzt, von dem es nur ein paar Bilder gibt, die immer wieder gezeigt werden. 22. März 2003 Ein Mail meines Freundes Rembert Hüser: »Und warum schreibt oder sagt niemand, dass ›awe‹ von ›shock and awe‹ nicht ›Einschüchterung‹, sondern ›Ehrfurcht‹ heißt? Dass es sich dabei um einen Begriff aus der Erhabenheitsästhetik handelt, dass es um die Anerkennung von Minderwertigkeit angesichts des Göttlichen geht?« 23. März 2003 Ein Bild, wie ich es noch nicht gesehen habe. Start von Flugzeugen vom Deck eines Flugzeugträgers. Alle Gegenstände in leuchtenden Falschfarben, in niedriger Rate übertragen. Ein reales Bild, allerdings ohne jede Raumwirkung, wie icons auf einem display. Startende und landende Maschinen auf dem Flugzeugträger sind ein häufiges Motiv, das Standard- Stellvertreter-Bild für Kriegsführung, ähnlich dem von der Stahlschmelze für Industrieproduktion. Zu oft gezeigt, ein neuer Ausdruck wird gebraucht! Beim Zappen haben wir bemerkt, dass Viva sein Logo durch ein Ostermarsch-Zeichen ersetzt hat, zum Zeichen der Anerkennung sehen wir uns einen Clip an. Ein Rapper im Ghetto, mit teuren Kameras werden Effekte billiger Kameras nachgemacht, damit die Armut als Geste deutlich bleibt, wie bei einem Staatsmann, der das Gewand einfacher Menschen trägt. Auf dem Rücken der Rapper erscheinen kurz elektronische Fadenkreuze. Ein Rebell zu sein heißt, im Fadenkreuz der Hightech-Waffen zu sein. Zurzeit des Kosovokrieges hielten in Belgrad Demonstranten Pappschilder mit einem Fadenkreuz hoch: Wir sind die Opfer; daher muss die Idee für den Clip gekommen sein. Experten und Projektile Tagebuch zum Krieg [Zweiter Teil]. Von Harun Farocki 23. März 2003 Gestern nahm ich im SFB an einer Radiodiskussion teil. Zuhörer riefen an, und alle kritisierten die Bildberichterstattung im Fernsehen. Nicht nur, dass da kein vollständiges oder wahres Bild vom Krieg gezeigt werde. Eine Frau sagte, sie habe gesehen, wie ein TV- Team Gasmasken anlegt, und sie hätte denken müssen, sie schützten sich, um Bilder ungeschützter Zivilisten aufnehmen zu können. Erinnerung an den ersten Kriegstag: In Kuwait ist Luftalarm, im Pressezentrum versuchen die Berichterstatter, ihre Gasmasken anzulegen. Im Hintergrund sieht man das Hotelpersonal, Männer und Frauen aus Thailand und von den Philippinen. Für sie gibt es keine Masken, sie haben Taschentücher umgebunden wie bei einer Grippe-Epidemie. 24. März 2003 Für zwei Tage bin ich in Lille, man bringt mich in einer Wohnung ohne Fernseher unter. Auch das Tabac über die Straße hat keinen Fernseher. Ein Bildtyp, der 1991, beim Krieg der Alliierten gegen den Irak, Furore machte, kommt in diesem Krieg nur noch am Rande vor: die Luftaufnahmen aus Flugzeugen oder Drohnen zur Überwachung des Bombardements. In kontrastarmem Schwarzweiß, im Zentrum das Fadenkreuz. Mit dem Einschlag des Projektils reißt die Aufnahme ab. Noch mehr Erstaunen riefen die Bilder aus dem Kopf der Projektile hervor, die den Anflug auf das Ziel übermittelten, aus »filmenden Bomben« (Theweleit). Weil Videospiele mit dynamischen Perspektiven Effekt machen, schrieb man damals oft, der Krieg erscheine wie ein Videospiel. Diese Bilder wurden im Zusammenhang mit dem Wort »intelligente Waffen« gezeigt, und weil sie den Blickpunkt der Waffe einnahmen und nicht den eines zielenden Soldaten, erschienen sie als Subjektive neuen Typs. Sie gaben dem Projektil eine Subjekt-Ähnlichkeit und waren ein Bild zur Einfühlung in den Geist der Waffe. Es ist damals kaum bemerkt worden, dass eine Videokamera im Projektil noch lange nicht beweist, dass dieses »intelligent« ist, also mittels Bildverarbeitung ein Ziel erkennen und ansteuern kann. Tatsächlich dienten die meisten der Bilder aus diesen Selbstmord- Kameras nur zur fotografischen Kontrolle der Wirksamkeit des Angriffs – dieses Verfahren gab es schon in Zweiten Weltkrieg. Diese Bilder waren also eine merkwürdige Reklame: Reklame für eine Waffe, die die Waffenindustrie gerne entwickeln/verkaufen würde und die Militärführung gerne bezahlt bekäme. Eine Waffe behauptet ihre Existenz, um ein Existenzrecht zu setzen! Gestern wurden solche Bilder bei einer Pressekonferenz der US-Kriegsführung gezeigt. Der Fernsehbericht des Ersten Programms zitierte sie nur für Sekunden und merkte an, diese Bilder bewiesen nichts. Der Kommentar merkt gegenwärtig ständig an, man wisse nicht, wo eine bestimmte Bildfolge aufgenommen worden sei und man könne nicht nachprüfen, ob sie eine Situation angemessen wiedergebe. Auf einmal ist das Fernsehen extrem medienkritisch. Man spricht in diesem Krieg nicht mehr von »intelligenten Waffen«, nur noch von Präzisionswaffen. 31. März 2003 Schlagzeile der Berliner Zeitung: »Kirche unterstützt Reformkurs«. Der Krieg ist nicht mehr die erste Nachricht. »Erstausstrahlung« von Madonnas »American Life« auf dem Musikkanal Viva, dem Sender mit dem Friedenszeichen als Logo. Der Clip will sich gegen jeden Einwand schützen, indem er ins Zentrum eine Modenschau stellt, mit Mädchen in Taliban-Kleidung auf dem Laufsteg, über den schließlich ein jeepähnliches Fahrzeug mit Mädchen in Uniform braust. Es soll also um die Mode der Politik gehen. Es war eine Politik der Mode, dass Antimilitaristen Uniformteile anlegten, um deren Magie zu brechen. Umgekehrt haben US-Soldaten im Vietnamkrieg Attribute der Protestbewegung angenommen: lange Haare, Drogen, Rockmusik. All das ist seither völlig entzaubert und taugt nicht mehr zum Ausweis einer Geisteshaltung. Darüber gibt es schon Bücher, und das muss Madonna, die als nicht dumm gilt, wissen. Dass der Clip schon vor der Premiere umgeschnitten worden sein soll und danach wieder zurückgezogen wurde, also eine Provokation bedeuten soll, hat mit der Krise der Institution Militär zu tun. Weil es für das überkommene Militär keine Funktion gibt, wird der Soldatenrock wieder zu einem Heiligtum. Zur nationalen Folklore trägt Madonna bei, indem sie so tut, als könnte sie für ihren Clip an die Wand gestellt werden (ein »Fashion Victim«). Zu unterstellen, ihr Spiel könne die Soldaten beleidigen, während jeder zweite Arbeitslose in Armeeklamotten rumläuft (»Reserve-Armee«), weist auf die ideologische Konfusion hin und ist damit vielleicht sogar ein subversiver Akt. 2. April 2003 (Chicago) Der Krieg ist eher in den Börsenschwankungen abzulesen als in den Alltagsbildern. In den Bars laufen nur Sportbilder. Im Hotel müssen wir durch viele Kanäle schalten, bevor der Krieg erscheint. CNN hat hier einen anderen Tonfall als in Europa. Der Grundton ist der eines Sportreporters, der entschieden für das eigene Team Stimmung macht. Straßen im Irak sind zu sehen, auf denen Panzer in Richtung Bagdad fahren. Bei Sportereignissen ist es heute üblich geworden, vor und nach dem Spiel Experten einzuladen und mit ihnen zu sprechen, weil das Bild nichts hergibt. Hier gibt das Bild nie etwas her, die »überraschend heftige Gegenwehr« ist nie zu sehen, und auch eine Totale von Bagdad während des Bombardements macht nicht deutlich, was getroffen wurde und mit welchen Folgen. Also werden auch hier Experten zugeschaltet, ein ehemaliger Verteidigungsminister und ein ehemaliger Außenminister. Sie haben an der Kriegsführung einiges auszusetzen und am außenpolitischen Kurs der Bush-Regierung, meinen das aber konstruktiv. Der Ex-Außenminister sagt, es sei schön, dass Bush »this animal« Saddam jetzt killen wolle. Mal erscheint das Bild des TV-Hosts links, und daneben sind übereinander die beiden Experten zu sehen; im nächsten Augenblick ist der eine Experte größer zu sehen und die beiden anderen Köpfe sind in kleinere Rahmen gekästelt. Das Umschalten und Größer-und- kleiner-erscheinen-lassen von zugeschalteten Köpfen ist sowieso die Hauptaktion bei CNN. Hier ist nun auch stets noch die irakische Landschaft mit den Fahrtaufnahmen dabei. 5. April 2003 Anders als im vorigen Krieg gegen den Irak 1991 ist die Kriegsführung darum bemüht, möglichst keine oder möglichst wenige zivile Opfer zu verursachen. Die Live- Bilder aus Bagdad, Totalen, die das Ausmaß der Bombardements nicht ermessen lassen, und auch die langen Einstellungen von Truppenbewegungen irgendwo, lassen sich mit den Bildern aus Überwachungskameras in einem Bürohaus oder Krankenhaus vergleichen. Sie zeigen nicht alles, und es ist ihnen nicht abzulesen, ob einer die Bücher fälscht oder die Narkose verpatzt. Aber dass es die Kameras und die Bilder gibt, das steht für eine gewisse Ordnung und soll für Rechtlichkeit gelten. Wir sind als Zuschauer in die Rolle des Sicherheitspersonals versetzt, vor dem diese Bilder ablaufen. In jedem Film sind die Leute vor diesen Kontrollschirmen elende Idioten und kriegen eins auf die Mütze beim Überfall. Sie werden wenigstens bezahlt fürs Absitzen, wenn auch schlecht. Die Not der Bilder Tagebuch zum Krieg. Dritter und letzter Teil. Von Harun Farocki 6. April 2003 (Toronto) Ein kanadischer Nachrichtenkanal mit ähnlichem Design wie CNN, auf dem Hauptbild spricht ein Arzt über Sars, auf dem Nebenbild erscheinen Autobahnbilder aus der Region, die eine Bildunterschrift jeweils lokalisiert. Es hat einen heftigen Schneefall gegeben, und diese Bilder sollen die Verkehrsverhältnisse dokumentieren. Für einen Augenblick glaube ich, sie zeigten den Vormarsch der Seuche und zugleich den Vormarsch der Koalition auf Toronto. Seit Beginn der Invasion haben wir aus dem Irak Bilder von ähnlicher Banalität gesehen, denen kaum mehr abzulesen war als Wetter und Verkehrsdichte. Das Wissen, das seien Kriegsbilder, hat uns in Spannung gehalten. Die Kommentar- Stimmen haben zu der Spannung beigetragen, indem sie von »unerwarteten Schwierigkeiten« und einem »Widerstand, stärker als erwartet« sprachen. Das ging mir ein, wohl im Kinderglauben, das Unrecht des Angriffs werde sich rächen, gleich oder irgendwann. 7. April 2003 Im Toronto Star das Foto eines US-Panzers, in starker Untersicht gegen einen hellblauen Himmel, von dunkelgrauen Wolken oder Rauchschwaden durchzogen. Auf der Luke des Panzers am Bildrand rechts steht ein irakischer Soldat und hält Ausschau, am Bildrand links balanciert ein zweiter sehr sicher auf dem Kanonenrohr von etwa zwanzig Zentimetern Durchmesser, seine Jacke weht auf und die rechte Hand hält eine Waffe gesenkt, die linke ist zum Victory-Zeichen erhoben. Dabei schaut er aus dem Bild nach links oben. Die Bildunterschrift sagt, der M-1-Abrams-Panzer sei bei einem Kampf an der Stadtgrenze von Bagdad von einer Granate getroffen und aufgegeben worden. Das Bild hält keine Pose fest, sondern friert einen Moment aus einer unverständlichen, mit Selbstgewissheit ausgeführten Handlung ein. Die Untersicht und der dramatische Himmel erinnern an ein Schlachtengemälde. »A coalition plane later swooped in and destroyed the tanks remains.« Das ist symbolische Politik: ein kaputter Panzer wird zerstört, damit man mit ihm kein »Schindluder« treiben kann, damit die Panzer-Leiche nicht weiter geschändet werden kann. 8. April 2003 Anders als in den USA ist hier in jeder Bar der Krieg auf dem Bildschirm anwesend. Im Frühstückscafé ein kanadischer Kanal, auf dem links Straßenbilder aus Bagdad und rechts Highways aus der Region Toronto zu sehen sind. 9. April 2003 Im Traum: Wir fuhren mit einem Bus zu so etwas wie einem politischen Seminar. Jemandem war es gelungen, den alten Hitler aufzutreiben. Er saß mit uns im Bus und sah sich ein bisschen ähnlich, aber auch teilweise überhaupt nicht. Ich versuchte, sein Alter auszurechnen, und witzelte mit ihm rum: »Haben Sie dich angerufen oder Eva Braun?« Ich duzte ihn absichtlich. Wir kamen überein, dass er nicht echt sein kann. Mein Freund Christian Petzold sagte: »Würden Sie diesem Mann ein gebrauchtes KZ abkaufen?« Das ist natürlich ein Tagesrest. Am Vorabend hatten wir das Video mit bin Laden oder seinem Wiedergänger gesehen. Außerdem hatte Hitler am Ende Sorge, man könne mit seiner Leiche »Schindluder« treiben. 11. April 2003 Erinnerung an einen Satz von Jan Stage: Früher wurden Kriege geführt, um sich etwas unter den Nagel zu reißen, heute, um einen Antrag auf Kredit bei der Weltbank vorzubereiten. Umfrage auf CNN: Ist der Krieg erst dann gewonnen, wenn wir S.H. haben (tot oder lebendig) oder wenn er aus dem Amt ist? 51 Prozent zu 49 Prozent. Rhetorik des Unzureichenden Sieben US-Soldaten werden aus der Kriegsgefangenschaft entlassen/befreit. Eine Videokamera hat vom Ereignis etwas aufgenommen, zwei Krankenwagen, die nebeneinander herfahren, und die Soldaten selbst, die einen Platz überqueren. Die Bilder wurden per Videophone übermittelt. Jetzt werden sie in Zeitlupe wiederholt, zu einem Kommentar, der das Ereignis wiedergibt. Genau das sieht man ständig auf »unabhängigen Filmfestivals«, ein Bild das nicht viel sagt, technisch herabgesetzt zum Ziel der Überhöhung, oft wiederholt, um überdeutlich zu machen, dass die großen Momente keine Bildentsprechung finden. Bei diesem CNN-Beitrag macht diese rhetorische Figur einigen Effekt, denn die Produzenten handeln aus reiner Bildernot und wollen das nicht beschönigen. Augenbinde Woher kam der Kran, mit dem das Standbild Saddams in Bagdad umgerissen wurde? Dass jemand zuvor der Figur eine US-Fahne um das Gesicht gewickelt hatte, könnte ein schiefes Bild ergeben. Oder die Fahne soll eine Augenbinde bedeuten, wie man sie dem Verurteilten vor der Hinrichtung umlegt. Erfolg Am 7. April gab die CIA den Hinweis, Saddam und seine Söhne Udai und Qusay hielten sich in einem bestimmten Gebäude auf, ein B-1-Bomber flog hin und warf eine 900- Kilogramm-Bombe drauf, die einen 18 Meter großen Krater riss. Rumsfeld sprach von einem außerordentlichen Erfolg. Ob die Familie Saddams getroffen wurde, wurde nicht weiter verfolgt. Mindestens 14 Zivilisten waren tot und das Sprüchlein vom Bedauern darüber wurde vergessen. Da die Präzision der Waffen in diesem Krieg ständig gerühmt wurde, kann der Erfolg nicht darin liegen, dass die Bombe ihr Ziel nicht verfehlte. Läge er darin, dass es gelang, eine Aufklärung des Geheimdienstes schnell zum Militär zu kommunizieren, würde Rumsfeld das kaum öffentlich machen wollen. Reporter des Pentagon durften mit zwei Mitgliedern der Bomberbesatzung ein Telefoninterview machen, das auch sogleich auf CNN ausgestrahlt wurde. Captain Wachter und Lieutenant Swan erzählten von Adrenalinstößen und Stolz. Üblicherweise wird nicht öffentlich gemacht, wer wohin eine Bombe wirft. Bei einer standrechtlichen Erschießung gibt es sogar den Brauch, ein Gewehr mit einer hölzernen Kugel zu laden, sodass jeder im Kommando denken kann, er habe den Tod nicht verursacht. Uniform-Mode Polizeiuniformen haben keine Anmutung, im Kino sind die Polizisten ohne Uniform die Helden und die in Uniform die Witzfiguren, wie die Keystone-Cops zu Stummfilmzeiten. Wenn das Projekt einer Weltpolizei sich durchsetzt, müsste auch Madonna wieder die Uniform ablegen und sich zivilisieren. Vielleicht kriegen wir im Kino bald eine gut choreografierte, herumpurzelnde Weltpolizei zu sehen. Zeit-Politik 1991 begleitete das nicht private Fernsehen in Deutschland den Krieg gegen den Irak exzessiv, und als er vorbei war, behielt es das »Frühstücksfernsehen« bei. Kein Feind kann für die Ausdehnung der Sendezeiten und die Vermehrung der Kanäle verantwortlich gemacht werden. Nach der Theorie des Partisanen versucht der Schwache, den Starken zu schwächen, indem er dessen Aufmerksamkeit bindet. In der selbst auferlegten Zerstreuung beim Dauerfrühstück ist ein Gegner entworfen, dessen Bild nicht zu fassen ist. http://www.jungle-world.com/seiten/2003/14/636.php http://www.jungle-world.com/seiten/2003/15/689.php http://www.jungle-world.com/seiten/2003/17/774.php ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste zur Kultur digitaler Medien und Netze Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/ Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/