Krystian Woznicki on Wed, 23 Apr 2003 09:31:24 +0200 (CEST) |
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[rohrpost] Re: SMS-Encounters |
Bringt mis display zum lüchte! Ronald Düker, Netzeitung, 23. April 2003 Liebe unter 160. Während die Lehrer über den Sprachverfall durch SMS stöhnen, erscheinen nun prämierte SMS-Liebesgedichte in Buchform. Die armen Lehrer! Ein ganzes Berufsleben lang sind sie dazu verdonnert, Kinder und Jugendliche zu ertragen, die im Unterschied zu leiblichen Sprösslingen nicht die Güte haben, irgendwann für immer das Haus zu verlassen. Ganz im Gegenteil: während die einen endlich ihre Abiturzeugnisse entgegennehmen, warten Hunderte kleine Nervensägen bereits mit ihren Schultüten auf dem Hof – ganze Generationen von ihnen sieht der Lehrer an sich vorbeiziehen, denn seine Ausschulung findet planmäßig erst im Rentenalter statt. Das größte Lehrerproblem über die Jahre: Schüler müssen, damit pädagogisch auf sie zugegriffen werden kann, verstanden werden, und das im Kontext einer sich immer schneller verändernden Alltagskultur. Das mutwillige Unterschreiten von Verständlichkeitsstandards durch Schüler bringt Lehrer so auch schnell ans Ende ihres Lateins. So geisterte kürzlich ein Text durch die Medien, den eine 13-jährige Schülerin aus Schottland im letzten Jahr als Aufsatz über die Sommerferien vorgelegt hatte: My smmr hols wr CWOT. B4, we usd 2 go NY 2C my bro, his GF & thr 3 :-@ kds FTF. ILNY, its gr8. Bt my Ps wr so {:-/ BC o 9/11 tht they dcdd 2 stay in SCO & spnd 2wks upN. :-@ kds FTF Dass der betroffene Lehrer dies als Beispiel eines dramatischen Sprachverfalls an die große Glocke hängte, hing nun nicht damit zusammen, dass der Text fehlerhaft gewesen wäre – der Lehrer sah sich mit einem klassischen Lateinschülerproblem konfrontiert: er konnte die vorliegenden «Hieroglyphen» nach eigenem Bekunden «schlicht nicht übersetzen.» Ein Problem, das er mit den meisten der 13-jährigen Schüler vermutlich nicht teilte. Denn die Schülerin, die offensichtlich nicht nur ihre zurückliegenden Sommerferien, sondern auch das Ausschreiben längerer Worte als CWOT (complete waste of time) begreift, benutzte keine Privat- sondern eine weitgehend standardisierte SMS-Sprache, bestehend aus einfachen Wortabkürzungen und piktorialen Verdichtungen (:-@ kds FTF = screaming kids face to face). Eine Schrift, die sich wie eine orale Erzähltradition durch den Gebrauch des noch jungen Mediums SMS ganz ohne feststehende Grammatik herausgebildet hat, und einen schlichten Sinn erfüllt. Denn der 171-Zeichen-lange Text würde sich ausgeschrieben schon auf über 353 geschwätzige Zeichen Standard-English aufblähen. Die Steine feinden Alleine die Tatsache, dass ein neues schwul-lesbisches Jugendmagazin für seinen Titel «Seidu» gerade die Schreibweise «s(-:du» gewählt hat, kann als Symptom dafür gelten, dass die SMS-Schreibweise auch im deutschen Sprachraum bereits allgemeine Verbindlichkeit erreicht hat. Auch hat die neue Sprachform, die der Short Message Service (SMS) hervorgebracht hat, längst ihre Poetologen gefunden. Der Kölner Medientheoretiker Nils Röller, der auch einen SMS-Roman herausgegeben hat, erkannte hier das «Minimax-Prinzip» (Maximum an Aussage bei einem Minimum an verwendeten Zeichen) wieder, das schon die postalische Telegraphie um 1900 bestimmte. So habe dem frühexpressionistischen Dichter August Stramm erst der Beruf als Telegraphist zu verdichteten Sätzen wie «Die Steine feinden» verholfen. Dies zeige, wie Medientechniken letztlich «kulturelle Standards», in diesem Fall Literatur und Literaturgeschichte, «neu formatieren» können. Tag der Liebe, Tag des Buches Am Berliner Alexanderplatz verwandelte der Chaos Computer Club die Fassade eines Plattenbaus zum Monitor, dessen beleuchtete Fenster als Pixel zur Darstellung riesiger grafischer Animationen dienten, die sich von außen über SMS-Zusendungen beeinflussen ließen. Im U-Bahnschacht bestand parallel dazu die Möglichkeit, SMS-Sprachmitteilungen zur Projektion auf weißen Werbeflächen und damit aus der Anonymität heraus ins Licht der Öffentlichkeit zu verhelfen. In beiden Fällen wurde das Handy zum Steuerungs- und Gestaltungsmedium des öffentlichen Raumes und verhalf der ansonsten intimen SMS-Kommunikation zu einem größeren Publikum. Dies ist wohl auch ein Anliegen der zahlreiche SMS-Literaturwettbewerbe, die auch bereits ihren Niederschlag in mehreren Buchpublikationen gefunden haben. Das jüngste Projekt dieser Art stammt aus der Schweiz, heißt «Liebe 160» und hat sich als Eckdaten den Valentinstag (14. Februar) und den Welttag des Buches (23.4.) gesetzt. Am Valentinstag war der Einsendeschluss für Texte, die zur Auflage hatten, das SMS-Limit von 160 Zeichen nicht zu überschreiten, und anders als bei vorausgegangenen SMS-Wettbewerben auch wirklich über das Handy (und nicht etwa als Email) eingesendet werden mussten. Zum Welttag des Buches erscheint nun im Verlag Nagel & Kimche eine Anthologie mit den 'besten', das heißt mit den von einer Jury ausgewählten Beiträgen des Wettbewerbs. Gebrauchslyrik für Handyjunkies Die Veranstalter reagieren damit auf den sprunghaften Anstieg des SMS-Versands in der Schweiz (während 1999 allein bei Swisscom 200 Millionen SMS verschickt worden waren, waren es 2001 bereits 2,2 Milliarden) und verweisen zugleich auf den poetischen Mehrwert, der hier gleich massenweise abfalle. Schließlich, so das Argument, umfassten auch viele der weltliterarisch bedeutsamsten Gedichte in deutscher Sprache weniger als 160 Zeichen. Die schweizerischen SMS-Autoren reichten aber nicht nur in punkto poetischen Timings an die großen Vorbilder heran. Auch mit Copyrights gingen sie «ebenso großzügig» um wie «seinerzeit – auf ihre Art – Shakespeare, Bach oder Brecht.» Die Herausgeber des Buches feiern also das «fröhliche Plagiat» und können dahinter das zentrale Problem derartiger Textsammlungen kaum kaschieren. Denn der 160-Zeichen-Text für die SMS-Mitteilung ist längst zu einem festen Format geworden, und auf den einschlägigen Internetseiten können sich Handyjunkies nicht nur Klingeltöne laden, sondern auch SMS-fähige Texte abschreiben, die sich grundsätzlich kaum von den gedruckten Wettbewerbsbeiträgen unterscheiden. Immerhin will die Jury durch eine Internetrecherche sichergestellt haben, dass die gedruckten Texte noch keine Verbreitung im Netz gefunden haben, und fügt dem Band solche, bei denen sich das herausgestellt hat, in einem eigenen Kapitel («Außer Konkurrenz») an. Eiskalt romantisch Einige Beiträge genügen indes zweifellos den höchsten Ansprüchen Mit einem Bein in der Tradition alpenländischer Gebrauchslyrik stehend und ihre Herkunft kaum verleugnend, wirft eine gewisse Sandra, 21, aus Hagendorn, doch einen eiskalt-romantischen Blick auf die Liebe in den Zeiten mobiler Telefonie: «Du bisch mir bestimmt wies sms am natel! Du bringsch de normalbetrieb durenand! Näbe dir verblassed die schönste logos! Di rington bringt mis display zum lüchte!» Liebe 160. Die besten messages über Liebe und Freundschaft. Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, München Wien 2003, 4,90 Euro http://www.netzeitung.de/servlets/page?section=585&item=236277 ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste zur Kultur digitaler Medien und Netze Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/ Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/