Rosanne Altstatt on Mon, 7 Apr 2003 16:29:57 +0200 (CEST) |
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[rohrpost] Interview mit Mark Bain von Rosanne Altstatt |
Dieses Interview mit dem Künstler Mark Bain wurde für seine aktuelle Einzelausstellung im Edith-Ruß-Haus für Medienkunst in Oldenburg geführt. Es ist ebenfalls Teil des Readers “ArchiSound: Mark Bain – Sonusphere”, das im Verlag Revolver (Frankfurt/Main) zur Finissage am 4. Mai 2003 erscheint. Rosanne Altstatt: Könntest du die Installation ‚Sonusphere‘ kurz skizzieren? Mark Bain: Die ‚Sonusphere‘ ist eine für das Edith-Ruß-Haus für Medienkunst entwickelte Arbeit, in die einige Elemente meiner jahrelangen Forschungen über Klänge in ihrer Beziehung zum Ort und zur Architektur eingeflossen sind. Interessiert hat mich, wie eine bestimmte Ausweitung des Ortes einen Raum sowohl physikalisch als auch akustisch durchdringen kann. Mir schwebte ein hybrides, fast lächerlich proportioniertes Klangsystem vor, das speziell auf Unterschallfrequenzen zugeschnitten ist. Das System arbeitet mit einer Druckröhre, die den Klang umschließt und ihn über aktives Pulsieren der Luft in eine sechs Meter große aufblasbare Kugel abstrahlt. Das ergibt dann so etwas wie ein absurdes Lautsprecherdesign von ziemlichem Umfang, der aber für die erzeugten Niederfrequenzen nötig ist. Die Klangquelle entfließt direkt dem Boden: Es sind die seismischen Signale des Grundstücks rings um das Gebäude. Diese Signale werden aufgefangen und über die ‚Sonusphere‘, die als akustische Schnittstelle fungiert, verstärkt. Man kann sich das Ganze als ein akustisches Makroskop vorstellen, das die Erdenergien aufspürt und sie in ihrer physischen Präsenz überträgt. RA: Wie wird dieses System mit der Architektur interagieren? MB: Nicht notwendigerweise direkt. Die Architektur definiert einen Ort, an dem die Betrachter Kontakt mit einer Arbeit aufnehmen können, die diesen Ort systematisch widerspiegelt. So gesehen bildet die Architektur nur einen Teil des Systems, einen Teil der Schnittstelle, eine Adresse. Die Ausstellungshalle hat eine einfache Aufteilung in zwei Räume mit einem größeren Ober- und einem kleineren Untergeschoss. Mir gefällt dieser Aspekt von Oben und Unten, über und unter dem Gelände. Speziell für diese Konstellation wollte ich ein System entwickeln und das Haus mit wellenförmigen Daten und Schall sozusagen ausloten. Dabei kam ich dann irgendwann auf kugelförmige akustische Gefäße, die über Signalleitungen miteinander verkabelt sind. So wie die Architektur ein Behälter für Klang und Aktivitäten sein kann, so arbeiten diese Gefäße auf einer zusätzlichen Behältnisebene wie ein Schallkondensator, der den Klang einfängt. Sie erfassen und halten diesen Klang und verarbeiten ihn durch Verstärkung, Übertragung und Ausstrahlung weiter. Neben der großen Kugel, die passgenau auf das rechteckige Gefüge des oberen Raums aufgeblasen wird, habe ich zwischen den Säulen des unteren Raums eine zweite, sehr viel kleinere Kugel aufgehängt. Dieser kleinere Behälter ist so etwas wie ein Schall-Ladegerät aus Aluminium und Stahl mit zwei Niederfrequenzwandlern, die von den verstärkten Signalen der im Boden der Außenumgebung angebrachten Seismometer angesteuert werden. Dadurch wird im Mittelpunkt der kleineren Kugel ein starkes Klangfeld erzeugt. Von diesem Punkt wird der Klang aufgenommen, direkt in die größere Membran nach oben übertragen und innerhalb desselben relativen Bereichs ausgesandt. Die kleine Kugel ist gleichsam ein Modell der größeren, die man auch betreten könnte, während das mit der kleineren nicht möglich ist. Alles steht zueinander in einer mimetischen Beziehung und spielt mit den Maßverhältnissen zwischen dem Gebäude, den Betrachtern und dem Außengelände. Die Ausweitung der Architektur ist ein Versuch, eine destabilisierende Umgebung, eine reaktive Zone oder Schnittstelle zwischen Betrachter und Architektur zu schaffen. RA: Es gibt also die kugelförmigen Metall- bzw. Kunststoffbehälter im Gebäude und einen anderen, architektonischen Typus von Behälter. Hast du deinen Entwurf darauf ausgelegt, dass beide einander speisen? MB: Je nachdem, wie die beiden Kugeln auf den Raum eingestimmt sind, stellt sich zwischen ihnen und dem Gebäude eine Beziehung her, auch wenn die Betrachter sie nicht unbedingt auf Anhieb bemerken. Mich interessieren besonders die subtilen Interaktionen, die zwischen energetischen und potenziell energetischen Systemen entstehen können. Im Prinzip ist das ganze System in der Lage, sich selber zu speisen, Elemente des Gebäudes inbegriffen. Bodenübertragungen haben oft einen hohen Wirkungsgrad, weil Schall auch in Festkörpern recht gut geleitet wird. Deshalb lässt sich nicht ausschließen, dass der Klang aus dem Gebäudeinneren wiederum die Sensorenanordnungen erreicht. Ich versuche daraus einen Vorteil zu gewinnen und das Signal so zu verstärken und zu stimmen, dass alle Elemente in einen komplexen Resonanzkreis eingehen. Während des Arbeitsprozesses kam ich auf den Gedanken, das Resonanzkonzept noch einen Schritt weiterzuentwickeln und das System so zu betreiben, dass die Kugel ohne Zufuhr durch die Bodensensoren ihr eigenes Signal generiert. Wenn man das Ausgangssignal der kleineren Kugel in sich selbst einspeist, entsteht ein äußerst starkes Rückkopplungspotenzial. Dieses selbstverstärkende Signal verwende ich als Ausgangsmaterial und schicke es durch einen einfachen algorithmischen Filter, der die auf- und abgleitenden Frequenzen einliest und steuert. Das Ganze klingt dann nach einem akustischen Tauziehen, nach einem System, das gleichzeitig darauf hinwirkt, unter Kontrolle zu bleiben und außer Kontrolle zu geraten. Die Objekte werden zum reinen Klanggebilde in sich. Dieses Gebilde entwickelt seine eigene selbstinduzierte Komposition und spiegelt darin den Kampf zwischen Amplitude und Frequenz. RA: Im Unterschied zu den Klangaufzeichnungen, die du in früheren Installationen wie deinem ‚Silent Sound System‘ (2001) benutzt hast, werden die Daten diesmal ‚live‘ in das Gebäude eingespeist. Bist du heute an der Entwicklung größerer Systeme interessiert? MB: Ganz unbedingt, aber das war auch schon bei früheren Projekten der Fall. Jede Örtlichkeit gibt die Größe der Produktion und ihrer Einrichtung vor. Ich versuche meine Arbeiten wandelbar anzulegen, sodass sie sich modifizieren und größeren oder kleineren Raumverhältnissen anpassen lassen – als transportable Raumaktivatoren also. Das Konzept des Transportablen ist ebenso wichtig wie das des implantierten Systems, das aufgreift, auswertet und abstrahlt. Ich betrachte diese Arbeiten als maschinelle Zwischenglieder oder Schnittstellen für instabile Erfahrungen. ‚Sonusphere‘ ist zwar für das Edith-Ruß-Haus konzipiert, lässt sich aber, weil transportabel und aufblasbar, leicht als wandernder seismo-akustischer Aktivator auf verschiedene Situationen einrichten. Und das ist, weil jeder Ort anders klingt, für einen solchen Sondierungsapparat eine wichtige Voraussetzung. Dadurch lässt sich seine Funktion darauf ausdehnen, Orte zu vermessen und Beziehungen zwischen unterschiedlichen Hörplätzen aufzuschlüsseln. RA: Wie würdest du die Stellung der Besucher in alledem beschreiben? Letzten Endes ist der oder die Betreffende ja zwischen allen diesen Schallbehältern, die jeweils ihre eigenen Klänge und Schwingungen aussenden, gefangengenommen. MB: In meiner Arbeit weiß man nie, wie die Besucher sich verhalten werden. Weil es mir auf die reine Erfahrung und ihre Körperlichkeit ankommt, möchte ich die Betrachter aus ihrer üblichen Rolle als Betrachter heraus- und in eine andere hineinführen, vielleicht in die eines Zeugen. Dennoch würde ich nicht von interaktiver, sondern eher von so etwas wie inter-reaktiver Kunst sprechen. Die erzeugten Frequenzen nehmen ja offenbar Einfluss auf die Psyche der Betrachter und lösen deshalb bisweilen ‚andere‘ Verhaltensweisen aus. Natürlich lassen die sich nie wirklich vorhersehen, bis das Werk tatsächlich in Betrieb genommen wird. Aber ich halte viel vom Ansatz einer reaktiven Kunst, des Provozierens. Interaktive Kunst scheitert häufig daran, dass sich das Hirn einschalten und eine Schnittstelle ausdenken muss, um zu steuern, was der Künstler beabsichtigt hat. Dabei geht viel von der Erfahrung verloren und es entsteht die Situation eines vorhersehbaren Ablaufs, ein Reiz-Reaktion-Schema, ein Mäuselabyrinth! Ich dagegen halte es für entscheidend, die Sinne zu entführen, vom reinen Bildschirmgeschehen wegzukommen und eine Arbeit anzubieten, die auf anderen Ebenen provoziert. Wie gesagt ist die Skalenstaffelung gerade dieser Arbeit für das Publikum als maßstäbliche Erfahrung wichtig. Es handelt sich, sagen wir mal, um ein pervertiertes utopisches Konstrukt in Form einer relationellen Anordnung, das versucht, die Betrachter in einen umliegenden Kosmos zu versetzen, in dem wir alle uns aufhalten. Es geht um den Anschluss des Körpers an das Gebäude und den Boden – an die Erde und die Matrix der Materien, die ein kollektives Netzwerk von Impulsen aussenden. Ich will nicht zu ‚abgehoben‘ klingen und eine Beziehung zu anderen globalen Themen wie der Destabilisierung und Schrumpfung von Raum herstellen, glaube aber, dass eine Ausdehnung dieser Erfahrung eine Vergleichsbasis zu einer bestimmten Krise oder wenigstens eine metaphorische Version davon liefern kann. Das Werk versucht auf sehr reale Weise zu verdeutlichen, dass jeglicher Eingriff Folgewirkungen hat, die sich auf die Umwelt niederschlagen. Virilio legt dar, dass jede Innovation ihren eigenen Unfall hervorbringt – vielleicht handelt es sich hier schlicht um ein Instrument zur Ortung eines globalen Unfalls. RA: Der Klang durchläuft viele verschiedene Mischungsphasen. Was bleibt eigentlich vom Original übrig? Worauf ich hinauswill: Könntest du nicht einfach irgendwelche Klangdaten in das System eingeben und es so lange manipulieren, bist du genau den Klang erhältst, den du haben willst? MB: Ja, ich nehme schon an, dass ich das könnte. Die Entwicklung im Bereich der Klangsynthese ist sehr weit vorangeschritten. Man kann eigentlich so ziemlich jeden Klang herstellen, den man haben will. Mich interessiert aber der Klang als Material in einer gewissen Tastbarkeit, Rohheit. Deshalb arbeite ich mit dem Live-Klang von Mikrosignalen und Aktivitäten, die sich unter unseren Füßen und in unseren Gebäuden ausbreiten. Das ist schwer, eindeutig, verseucht und vor allem lebendig! Auf diese Weise versuche ich, das Ganze möglichst rein zu halten. Ich verarbeite die Signale nur insoweit, dass sie ‚hörbar‘ werden und verschiedene Verstärkungsphasen durchlaufen. Der Vorgang, etwas Ungehörtes und Nicht-Gespürtes in den Bereich des Hörbaren und Spürbaren zu bringen, ist das Interessante. Solche verborgenen Wirkkräfte versuche ich freizulegen, solche Spektren aus der Erde zu holen und der menschlichen Wahrnehmung verfügbar zu machen. Die Ausdehnung des Hörbereichs ins normalerweise Unhörbare leistet etwas Ähnliches wie im optischen Bereich ein Mikroskop. RA: In einem Interview mit Josephine Bosma hast du einmal erwähnt, dass du in deiner Zeit am MIT viel über Infra- und Unterschallklänge geforscht hast und dass es einen Zusammenhang zwischen Gebäudefrequenzen und Körperfrequenzen gibt. Hängt das aber nicht von den in der Architektur jeweils verbauten Materialien ab? Alle Menschen sind aus Fleisch und Blut, aber Gebäude bestehen aus vielen verschiedenen Verbindungen von Holz, Stahl, Stein und weiteren Materialien. Kann es da wirklich einen Zusammenhang zwischen der Schalltoleranzschwelle bei Menschen und Gebäuden geben? MB: Sicher doch. Während dieser Arbeit habe ich spezielle Maschinen entwickelt, die durch Schall- und Schwingungsenergie vorhandene Strukturen ‚provozieren‘ und dabei im wesentlichen Gebäudebeben hervorrufen. Im Lauf der Forschungen stieß ich auf einige Dokumente mit Messwerten über die Wirkung bestimmter Frequenzen auf Baustrukturen und auf den menschlichen Körper und konnte zwischen beiden Datengruppen deutlichen Parallelen erkennen. Nachdem ich die Anlagen in verschiedenen Gebäuden hatte laufen lassen, stellte ich fest, dass es sich tatsächlich so verhält. In der Zeit, als ich Gebäudeteile durch Schall zerstörte – wie vor ein paar Jahren bei einer Installation in Den Haag -, habe ich das System so weit hochgefahren, dass man das Knacken sowohl in den eigenen Eingeweiden als auch im Gebäude spüren konnte. Für den Körper ist das nicht sonderlich angenehm, aber man kann damit sehr schön die Potenziale testen. Im Grunde interessieren mich allerdings mehr die Frequenzen und Amplituden bis zu diesem Bereich, dem Punkt also, an dem man Feinabstimmungen vornehmen und subtilere, affektivere Wirkungen erzeugen kann. Was den Unterschied zwischen Fleisch und Blut und dem Fleisch und Blut von Gebäuden angeht, sind deren Resonanzeigenschaften einander durchaus ähnlich. Ein Gebäude ist ein Gefüge von Komponenten eines Systems, das einen Raum bildet, so wie auch der Körper ein Gefüge von Teilen, Materialien und Innenräumen ist, und die Resonanzeigenschaften all dieser Materialien fallen innerhalb des Systemgefüges sehr ähnlich aus. Diese relationellen Frequenzen zapfe ich also an – ein einfaches Konzept, aber mit weittönenden Folgewirkungen. RA: Es wurde einmal gesagt, du spieltest die Architektur wie ein Musikinstrument. Ein Beispiel dafür ist ‚Reconstructies‘ (1999) in Den Haag, aber auch die ‚Angel Machine‘ (2001) in Groningen, die man beinahe als ein Land-Art-Projekt beschreiben könnte. Auch wenn deine Projekte oft ein skulpturales Element enthalten, so etwa das ‚Wavefront‘ (2000) Horn, ragt deine neue Arbeit doch ganz deutlich in den Bereich der Klangskulptur hinein. Betrittst du da Neuland? MB: Vielleicht schon – meine früheren Arbeiten sind ja beinahe unsichtbar, setzen ganz auf die Tastbarkeit des Schalls. Sehr schwer zu dokumentieren! Jetzt habe ich eine visuelle Komponente gefunden, die diese Klangdurchströmung des Raums ergänzt. Aber um etwas zeigen zu können, muss es für mich auch eine Funktion haben, wie das große Horn, das ich für ‚Wavefront‘ gebaut habe, oder die Kompressoren, die in Groningen verwendet wurden. Allerdings sind funktionale Kunstobjekte manchmal schwer zu produzieren, besonders in einem Kunstbetrieb, der hauptsächlich auf darstellende Objekte setzt. In einem gewissen Sinn bin ich ein irrationaler Erfinder dys/funktionaler Systeme, der versucht, diese mit rationalen Systemen zu verbinden. Ein bisschen parallel zur Wissenschaft der imaginären Möglichkeiten, wie sie Alfred Jarrys Konzept der Pataphysik und die Geschichte des Dr. Faustroll entwickeln. RA: Es gab einmal eine Zeit, in der du deine Arbeit provokativ als ‚Architerrorismus‘ bezeichnet hast. Abgesehen davon, dass das Wort ‚Terrorismus‘ im amerikanischen Wortschatz nach 9/11 eine verschärfte Bedeutung angenommen hat, würde ich diesen Begriff heute kaum noch auf deine Arbeit anwenden. In letzter Zeit hast du Konzepte für Klangsysteme entwickelt, die eher eine Symbiose mit der Architektur eingehen als gegen sie zu arbeiten. Welche Richtung nimmt deine Arbeit nach deiner Einschätzung heute? MB: All das bewegt sich in einem Prozess - Destruktion und Konstruktion. Ich baue nach wie vor dekonstruktive Arbeiten, genauso wie die ‚Projectile Objects‘ (1998,2001,2002), die überhaupt nichts mit Schall zu tun haben, sondern Gebäudestrukturen auf anderen Wegen attackieren – aber sicher, 9/11 hatte große Auswirkungen hinsichtlich der Aufträge, anderer Leute Gebäude zu erschüttern. Wie kann man auch gegen ein solches Spektakel antreten? Zum Zeitpunkt des Geschehens war ich in Südholland und installierte das ‚Portable Earthquake‘ (2001), das ich gerade fertiggestellt hatte. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, es an dem Tag laufen zu lassen, als alle Nachbarn sahen, wie Gebäude einstürzten. Ich glaube allerdings schon, dass mit zunehmender Entwicklung meiner Ideen - des vorhin erwähnten Gedankens des Angeschlossenseins - der Aspekt der Symbiose an Bedeutung gewinnt. Die Aktivierungsarbeit und die Hörarbeit sind einander ähnliche Projekte aus gegensätzlichen Richtungen. Beide setzen sich mit den Resonanzphänomenen von Materialien auseinander, nur ist das eine passiv und das andere aktiv. Vielleicht vergrößert sich jetzt der Maßstab auf eine Gesamtsicht der Erde als sublimen Resonanzkreis und auf die Entwicklung von Systemen, die dem Rechnung tragen. Nicola Tesla hatte vor hundert Jahren hinsichtlich der Verteilung von Elektrizität durch Netzwerke ähnliche Ideen. Es ist das Anzapfen der ungesehenen und ungehörten Welt - der Resonanzmatrix - die das Werk ausmacht. Was nun den Gebrauch des Wortes Terrorismus angeht – Terrorismus hat eine lange Geschichte, ob privat oder staatlich finanziert oder fundamentalistischer Ausprägung. Wir sollten uns nicht aufgrund eines ungeheuerlichen Ereignisses vor einer Terminologie verstecken. Ohnedies handelt es sich um einen vagen Ausdruck, der bequem zur Bezeichnung aller möglichen Feinde einsetzbar ist. Auch mache ich mit diesem Wort zugleich auf die Kehrseite aufmerksam, dass nämlich Kapitalexpansion, Entwicklung der Spekulation und Raumübergriffe gleichfalls Formen von »Architerrorismus« sind. Aber natürlich ist diese Gleichsetzung von Konstruktion mit Destruktion keine sonderlich populäre Idee. RA: Wenn du schreibst, du suchtest nach einem ‚lebendigen Wesen‘ in Materialien, indem du einen Klang aufzeichnest, der eigentlich außerhalb der menschlichen Wahrnehmbarkeit liegt, dann steckt in diesem Gedanken ein gewisser Animismus – der Glaube, dass in Gegenständen aus der Natur eine Lebenskraft steckt. Glaubst du, dass es zwischen Klang und Lebenskraft eine Verbindung gibt? MB: Ich denke, der Klang wird hier zum Indikator dieser Lebenskraft, zum Echo aller Vorgänge und Interpreten aller Systeme – von den Säugetieren bis zur Tektonik. Wenn du eine Glocke läutest, weißt du, aus welcher Materie sie besteht; dein Handeln definiert eine bestimmte Molekularkonstruktion. Wenn du dich um ein paar Größenordnungen an ein vermeintlich statisches Objekt heranzoomst, stellst du fest, dass auf der atomaren Ebene ein aktives System im Spiel ist, ein System von schwingenden Elektronen und von Kreisläufen. Am MIT habe ich viel mit einer Freundin zusammengearbeitet, die Zugang zu einem der leistungsfähigsten Elektronenmikroskope der Welt hatte. Sie untersuchte kristalline Halbleitermaterialien, die so statisch scheinen wie nur irgendwas, aber wenn man in sie hineinzoomt, entdeckt man etwas ganz anderes. Mit diesem Gerät kommt man hinunter bis zur atomaren Ebene, wo man die geschichteten Elektronenhüllen beobachten kann. Dort sah ich, wie diese Hüllen schwirrten und summten und mit einer eigenartigen Energie von Dunkel zu Hell übergingen, und alles dies in einem winzigen Kristallstückchen. Das war für mich erstaunlich, sehr real und sonderbar anzuschauen. Ich glaube, ich versuche dieses unentwegte Schwirren zu orten, das uns in verschiedenen Formen umgibt, diese Energie-Ansteckung oder den Animismus, der alles miteinander verbindet. RA: In letzter Zeit ist viel über Transcodierung (transcoding) und die Visualisierung von verborgenen Daten oder (Computer-)Codes theoretisiert worden. Meinst du, dass deine Arbeit in diesem Kontext steht? MB: Sicherlich ist jeder Akt des Aufspürens ein Datensammelprozess, und in diesem Sinn bin ich Sammler verborgener Datenprotokolle und Transcoder des Klangs. Allerdings scheint das Analoge durch das Digitale abgelöst worden zu sein, auch wenn das Analoge nie verschwunden ist. Es lebt weiter, wie immer. Ich bin also ein Sammler der alternativen Aufzeichnung, die in den Wänden einer sich wandelnden Datenbase aufbewahrt ist. Und während der Digitalisierungsvorgang lebendige Systeme und dafür stehenden Signale rekonstruiert, ist er in diesem Prozess selbst zu einem lebendigen Wesen schwirrender Datennetze geworden. Meine Arbeit ‚Sniffer‘ (2002), die sich heute im MIT-Museum befindet, leistet genau diese Transcodierung von Datenfeldern. Sie wurde dazu entwickelt, Funkverkehr auszuschnüffeln und ‚hörbar‘ zu machen, der ausschließlich Datenübertragungen, keine Stimmen oder normalen Hörfunk enthält. Der Signaleingang ist auf ein sehr breites Spektrum ausgelegt und gewährleistet damit den Empfang so weit entfernter Übertragungen wie jener, die von anderen Kontinenten oder von Satelliten ausgehen, bis hin zum Nahbereich drahtloser lokaler Netze und Mobiltelefone. Der Apparat schluckt gewissermaßen den digitalen Schwall, der sich durch den Äther ergießt, und spuckt ihn als transkribierte Datenklänge in verschiedener Form wieder aus. Derzeit beschäftigt man sich sehr viel mit ‚Datenverklanglichung‘ und versucht, durch Datenauswertung akustische Merkmale zu gewinnen. Ich halte es für durchaus interessant, Klang auf diese Weise zu verarbeiten und die Ohren an der Stelle weitermachen zu lassen, wo die Augen aufgehört haben. -- +++ GMX - Mail, Messaging & more http://www.gmx.net +++ Bitte lächeln! 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