Tilman Baumgärtel on Tue, 14 Jan 2003 15:05:16 +0100 (CET) |
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[rohrpost] GEMA |
Hallo! Der Umgang der Gema mit der Volksmusik erscheint mir zwar nicht als der problematischste Aspekt dieser Organisation, aber interessant ist das, was in der Sueddeutschen steht, schon. (Den andere Artikel zum Thema, der den Satz "Die Gema ist genial" enthält, spare ich mir). T. http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/getArticleSZ.php?artikel=artikel1464.php Ganz oder gar nichts 100 Jahre Gema I: Beispiel Volksmusik – eine Studie über den täglichen Copyright-Wahnsinn Vor drei Jahren widerfuhr der Kolbermoorer Brückenwirtin Annemie Göttl etwas ebenso Erstaunliches wie Betrübliches. Sie bekam einen Brief von der Gema, in dem sie aufgefordert wurde, für die Sitzungen des bei ihr beheimateten Musikantenstammtischs je 36,30 Mark an Gebühren zu entrichten. Der Stammtisch bestand hauptsächlich aus Rentnern, die zur eigenen und allgemeinen Freude gelegentlich sangen oder aufspielten, dabei aber nie so viel konsumierten, dass die Wirtin einen der Gebühr entsprechenden Verdienst gehabt hätte. Der Kasus wurde im Mangfall-Boten gebührend präsentiert und ein paar Tage später ebendort von Ernst Schusser, dem Leiter des oberbayerischen Volksmusikarchivs, mit herben Worten kommentiert. Daraufhin lenkte die Gema ein. Derlei erzählt Schusser gern, oft mit dem Hinweis auf David und Goliath oder auf den Pinscher, der einen Dinosaurier daran zu hindern sucht, in ein kleines, feines Gärtchen einzudringen und dort alles zusammenzutrampeln. Die Lage ist die, dass zwischen Pinscher und Saurier ein Dissens darüber herrscht, wie die Volksmusik aufführungs- und gebührentechnisch einzuordnen ist. Seit Jahren bellt Ernst Schusser deswegen aus Bruckmühl, dem Sitz des vom Bezirk unterhaltenen Archivs, nach München, und wenn auch zwischen ihm und der Gema längst nicht alles bereinigt ist, so sieht es doch danach aus, als ob seine Argumente beim Saurier allmählich verfingen. Kern des Konflikts ist die „Gemeinfreiheit“ der Volksmusik. Deren Adepten und Freunde stehen auf dem Standpunkt, dass für das gesellige Musizieren nach althergebrachter Art keine Tantiemen anfallen können. Die Gema hingegen neigt, sicherlich in eifriger Wahrnehmung ihrer Pflichten als Verwertungsgesellschaft, zu einer sehr weiten Auslegung der nach ihr benannten Vermutung. Diese „Gema-Vermutung“ hat die Tendenz, bis zum Erweis des Gegenteils zunächst einmal eine möglichst umfassende Gebührenpflichtigkeit anzunehmen. Fatal für die Musikanten: Im Zweifelsfall ist es an ihnen, die Wackligkeit der Gema-Vermutung zu belegen – in Schussers Augen eine ungerechte, die Macht der Gema ohne Not stärkende Umkehr der Beweislast. Was die Sache erschwert, ist Folgendes. Es gibt unter den Volksmusikern nicht wenige, die Mitglieder der Gema sind und es sich als solche angelegen sein lassen, ihre Werke schützen zu lassen. Kollegen von ihnen, die nicht bei der Gema sind, lachen dabei oft bitter auf, nicht wegen der Mitgliedschaft bei einer ja nützlichen Organisation, sondern wegen des Begriffes „Werke“. In der Tat werden da oft Musikstücke geschützt, die nicht einmal Eigenkompositionen sind, sondern nur Bearbeitungen gemeinfreier Stücke – Bearbeitungen freilich von der Sorte, wie sie der gute Musikant mit der linken Hand hinbekommt: ein kleines Zwischenspiel, die harmonische Einkleidung einer Melodie, rhythmische Akzente hier oder dort. Handwerkskunst eben oder, wenn man so will, Kunsthandwerk. Wer derlei abrechnet, kommt Schusser vor wie einer, der behauptet, er habe den Sonnenaufgang erfunden, und der dafür abkassiert, sobald sich jemand in die Morgenstrahlen stellt. Nikolo, bum, bum Was nun solche „Werke“ betrifft, so wäre die Rechtslage eigentlich klar. 1985 wurde das Urheberrechtsgesetz dahingehend novelliert, dass „die nur unwesentliche Bearbeitung“ eines nicht geschützten Musikwerks nicht als selbständiges Werk gilt, folglich auch nicht geschützt ist. Die Regelung dient, so der Kommentator Haimo Schack, „dem berechtigten Interesse an der freien Verfügbarkeit und freien Weiterentwicklung von Volksmusik, die dem Volk gehört und nicht leichthin monopolisiert werden darf“. Wenn dem so ist, hätte bei Veranstaltungen mit volksmusikalischen Programmen die Gema eigentlich nichts mehr zu suchen respektive zu „vermuten“. Das Volksmusikarchiv strebt, in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Landesverein für Heimatpflege, nach folgender Regelung. Wer immer unter den Musikanten sich für eine Mitgliedschaft bei der Gema entscheidet, sollte mit ihr einen gesplitteten Vertrag abschließen. Dessen einer Teil würde die Ansprüche sichern, die aus der geschäftlichen Nutzung (Platten, Noten, Rundfunk) seiner Werke resultieren – wie immer die schöpferische Höhe dieser Arbeiten von Fall zu Fall einzuschätzen wäre. Der andere Teil hätte das Aufführungsrecht zum Inhalt, und darin sollte garantiert werden, dass die Stücke im Sinn der Pflege gemeinfrei und somit nicht Gema-pflichtig sind. Eine ganze Reihe schöpferisch tätiger Musikanten hat beim Volksmusikarchiv bereits dokumentieren lassen, welche ihrer Sachen ohne Meldung bei der Gema und tantiemenfrei aufgeführt werden dürfen. Geht es nach Schusser, soll dies so umfassend wie möglich weitergeführt werden. Wenn bei der Gema die Rede auf die Bruckmühler Aktivitäten kommt, ächzt man verhalten. Zwar gesteht man Schusser generell die besten Absichten zu und betont, dass er „eine positive Rolle“ spiele. Gema-Sprecher Hans-Herwig Geyer lässt aber keinen Zweifel daran aufkommen, dass man sich beispielsweise zu gesplitteten Verträgen nie würde verstehen können: Wenn sich ein Autor an die Gema binde, dann ganz. Grundsätzlich habe jedoch auch die Gema den Vorsatz, die Volksmusik „so wenig wie möglich zu belästigen“. Was Ernst Schusser um jeden Preis vermeiden will, ist der Verdacht, er mache den David nur, um den Goliath Gema zu sekkieren. So lustig das klänge, so wenig würde es dem ernsten Hintergrund der Auseinandersetzung gerecht. Er skizziert ihn so: Kinder turnen bei einem Fest – gratis. Kinder stellen ihre Zeichnungen aus – kostenlos. Kinder singen „Nikolo, bum, bum“ bei der Weihnachtsfeier des Trachtenvereins – die Gema hält die Hand auf, weil die Erben des Komponisten das Liedl haben schützen lassen. Die Politik, sagt Schusser, sollte dringlich über die Grundlagen des Lebensraumes Musik nachdenken, in dem man sich frei bewegen können müsse. Dabei gehe es nicht nur um das menschliche Grundbedürfnis nach musikalischer Entfaltung. Die Pisa- Studie erlaube den Schluss, dass musisch geforderte und geförderte Kinder tendenziell zu besseren schulischen Leistungen fähig seien als solche, die nur ochsen, nicht zu reden von der Charakterbildung, die aus einer Gemeinschaftsdisziplin wie dem Singen erwachsen könne. Insofern sei der Wunsch, frei singen und spielen zu können, ohne dass gleich „oana midm Klinglbeidl“ danebensteht, auch ein Stück Gesellschaftspolitik. HERMANNUNTERSTÖGER Aktuelles Lexikon Wochenchronik Kontakt Impressum ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste zur Kultur digitaler Medien und Netze Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/ Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/