Andreas Broeckmann on Tue, 28 May 2002 11:02:19 +0200 (CEST) |
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[rohrpost] Interview mit Jordan Crandall von R. Altstatt |
[Dieses Interview erschien aus Anlass der Ausstellung "Jordan Crandall: Trigger Projekt" vom 6. April - 9. Juni im Edith-Russ-Haus fuer Medienkunst in Oldenburg. Die Publikation ist bei Revolver - Archiv fuer Aktuelle Kunst zu erhalten. http://www.edith-russ-haus.de - Jordan Crandall haelt am Donnerstag, 30. Juni, 20.00 Uhr, im transmediale-salon im Podewil einen Vortrag zum Thema der Ausstellung und zeigt ausgewaehlte Video-Arbeiten. http://www.transmediale.de ] Schuss/Gegenschuss Interview mit Jordan Crandall von Rosanne Altstatt Rosanne Altstatt: Obwohl du mehr fuer deine Film- und Videoarbeiten bekannt bist, moechte ich dieses Interview doch mit einer Frage zu deinen Diagrammen beginnen, deren Dynamik sich so grundlegend von dem glatten Eindruck, den deine bewegten Bilder machen, unterscheidet. Die Bleistiftzeichnungen wirken viel intimer, als wuerde ihnen eine wirbelnde Kraft innewohnen. Wie stehen die beiden zu einander im Verhaeltnis? Jordan Crandall: Mit den Diagrammen beginnt meine Arbeit. Sie sind der Schluessel zu allem. Sie bilden die Prozesse ab, aus denen die Struktur, der Inhalt und das Tempo resultieren. Und viele von ihnen bewegen sich in einem sehr persoenlichen Bereich, nah am Koerper - sie handeln von dem Raum zwischen Auge, Bildsucher und Ausloeser. Da ich immer tiefer in psychologisches Gebiet eindringe, bin ich froh, dass die Diagramme eine solche Intimitaet evozieren, gerade weil auch sie mit groesseren militarisierten Systemen zu tun haben. Darueber hinaus zeigen sie echtes Handwerk, was ebenso aktuell ist wie alles technisch Vermittelte. RA: In der ersten Woche unserer Ausstellung im Edith-Russ-Haus fuer Medienkunst willst du einen Workshop ueber die Entstehung deiner neuesten Arbeit, Trigger, durchfuehren. Was erhoffst du dir von diesem Workshop? JC: Um diese duale Projektionsinstallation praezise zu inszenieren, muessen zahlreiche Tests durchgefuehrt werden. Die Raumgroesse des Edith Russ Hauses ist perfekt, um die Dynamik zwischen den Akteuren auf der Leinwand, den Projektionsmassstab und die Sehgewohnheiten des Publikums zu ueberpruefen. Wir werden in einer Improvisation des eigentlichen Filmsets verschiedene Testszenen drehen und diese dann direkt auf die Waende projizieren, um zu sehen, wie sie funktionieren. Anhand dieser Tests wird waehrend der Ausstellung laeuft ein endgueltiges Storyboard entwickelt. RA: Trigger wird auf zwei gegenueberliegende Waende projiziert werden. Warum hast du diese Form gewaehlt? JC: Ich moechte die Zuschauer in das Drama zwischen den beiden Gestalten, die einander jagen, einbeziehen. Man wird sich ganz umdrehen muessen, um die eine oder die andere Leinwand vor Augen zu haben. Auf diese Weise wird man nie die gesamte Produktion von einem komfortablen externen Standort aus als Ganzes erfassen koennen. Das ist viel schwerer, als sich nur auf eine Leinwand zu konzentrieren. Das Video laeuft schnell, und man wird es jedes Mal anders erleben, weil man koerperlich genauso hellwach sein muss wie die Akteure auf der Leinwand. Du musst schnell, konzentriert und behaende sein wie ein guter Soldat. RA: Ziehst du wirklich eine Parallele zwischen den Faehigkeiten eines Soldaten und den Faehigkeiten des Betrachters? JC: Insoweit, als sich beide in einem Zustand der Hyper-Wachsamkeit befinden, in dem alle Sinne geschaerft sind. RA: In der Geschichte geht es um zwei Soldaten, die sich gegenseitig durch ihr Visier beobachten. Ein Thema, das man aus vielen Hollywood-Kriegsfilmen kennt. Hattest du bei der Konzeption von Trigger bestimmte Filme im Kopf? JC: Ja, es gibt Unmengen Vorlaeufer aus Hollywood, zahllose Kriegsfilme, die ich gesehen habe. Die Punkte, auf die ich mich beziehe, sind kurze, meist strukturelle Momente, in denen es zu irgendeiner subtilen Einmischung der Kamera kommt. Man bemerkt sie gar nicht, solange man nicht gezielt danach sucht. Beispielsweise die Szene in Kubricks Full Metal Jacket, in der die Kamera mit dem Gewehr des Soldaten nach oben schwenkt und sich am Visier des Soldaten auszurichten versucht. Die Kamera, das Auge des Publikums, Kimme und Korn am Gewehr des Soldaten und der Blick des Soldaten muessen zur Deckung gebracht werden, damit der Schuss sitzt - der Schuss, der die Aufnahme ausloest und gleichzeitig das Leben seines menschlichen Ziels ausloescht. Durch die lineare Ausrichtung von Auge, Zielvorrichtung und Bildsucher bricht eine Art Artillerie hervor, zusammengefuehrt durch die Hand am Ausloeser beziehungsweise am Abzug, in dem der Herzschlag von Mensch und Maschine eins werden. Ich suche die Kamera, die niemals unschuldig ist, die Suchereinrichtungen, die stets Kontrolltechnologien und Konventionen unterliegen, und die Beschaffenheit des Aufnahme/Schuss-Opfers. RA: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob sich jeder, der im Bildsucher einer Kamera auftaucht, gleich als Opfer empfindet - aber wie saehe dann die Beschaffenheit eines Aufnahme/Schuss-Opfers aus? JC: Ich meine nicht unbedingt, dass das immer der Fall sein muss. Aber es gibt immer eine Dynamik der Macht. Das Aufnahme/Schuss-Opfer ist ein Opfer der Suchervorrichtung und/oder der Waffe. Ich versuche einen Begriff zu finden, aus dem die ganze Gewalt spricht, die auch von der Kamera und allem, wofuer sie steht, ausgeuebt wird. RA: Im Anschluss an die Schauspielschule hast du angefangen, selbst Filme und Videos zu drehen. Was hat dich veranlasst, die Seite zu wechseln? JC: Mir macht es Spass, beide Seiten der Kamera kennen zu lernen. Allerdings gibt es viel mehr als nur diese zwei Seiten. Ich moechte mich in allen versuchen. RA: Du spielst damit wahrscheinlich auf den Einsatz unterschiedlicher Kameratechnik und Kameraperspektiven an - so etwas wie eine postkinematografische Sprache. Ich habe in frueheren Interviews von dir darueber gelesen. JC: Ja. Mit dem Einsatz von UEberwachungs- und Verfolgungssystemen und urspruenglich militaerischen Zwecken dienlichen Aufnahmen, etwa von Nachtsichtkameras oder von mit Kameras ausgeruesteten "Smart-Bomben", stehen uns alle moeglichen neuen Bildformate zur Verfuegung. Mich interessiert, wie diese neuen Systeme verinnerlicht und inwiefern sie Teil neuer Bildsprachen werden, die die Kinokonventionen vor neue Herausforderungen stellen, sowie die diesem Prozess innewohnende Machtdynamik. Ausserdem interessieren mich die Unterschiede zwischen Boden- und Luftsprachen und das gesamte Lexikon der Analyse und Rekonstruktion am Boden stattfindender Bewegung von der Luft aus. RA: Wie sieht dein visuelles Vokabular fuer Trigger aus? JC: Es ist ein Spiel zwischen filmischer (bodengestuetzter) UEberwachung und Satellitenaufnahmen. Ausserdem verwende ich ein "Eye-Tracking" Synchronisationssystem, das Waffe und Blick des Kaempfers automatisch in UEbereinstimmung bringt, selbst wenn sie nicht miteinander in Verbindung stehen. Dadurch werden filmische Konventionen in Bezug auf Kontinuitaet und innere Logik hinterfragt und gleichzeitig aktuelle Fragen der vernetzten Verkoerperung aufgeworfen. Ich verwende bestimmte Zielerfassungsformate, die eine neue Art der Perspektivkonstruktion ermoeglichen - sicherlich in einem mehr militaerischen Zusammenhang, jedoch auch als allgemein genutzte Kontrolltechnologien. Insgesamt inszeniere ich das Aufbrechen und Verknuepfen von Blickpunkten verschiedener Mensch- und Maschinensysteme, die mit ganz speziellen - politisierten - Kameraeinstellungen verbunden sind. Die Geschwindigkeit und Effizienz der vernetzten und durch die logischen Datenbankstrukturen sortierten Stroeme bilden eine artillerieartige Kraft. Da stellt sich heute mehr denn je die Frage, woraus eine Kamera besteht und was die "agency" dahinter ist - wie man ein komplexes und oft aeusserst non-visuelles System visuell darstellen kann. RA: Was meinst du in diesem Fall mit "agency"? Den, der die Kamera fuehrt, oder den Zweck, der hinter dem Einsatz der Kamera steckt? JC: Beides. Die Art und die Beobachtungsgabe des Sehers zusammen mit seiner Intention und seiner Handlungsfaehigkeit. Beim Einsatz einer Filmkamera stellen wir uns diese Fragen komischerweise nicht, weil die Filmtechnologie inzwischen etwas Normales ist. Deswegen ist es unter anderem so interessant, mit Militaertechnologie zu arbeiten. Da wir sie noch nicht verinnerlicht haben, fragen wir sofort nach der "agency" dahinter. Worin unterscheidet sich der Blick eines UEberwachungssystems von unserem Blick? Der Blick des Militaers von dem Blick der Medien? Das wirft auch die Frage auf, inwiefern unser Blick durch die sehr normal gewordenen Technologien der Massenmedien bestimmt ist und wir unsere eigenen persoenlichen UEberwachungsmethoden einfuehren. Wir sagen, "Ich muss mich hier gegen 'sie' behaupten", und befestigen eine Grenze. Wir rechtfertigen einen persoenlichen oder anderweitigen Angriff auf einen Gegner, gegen den wir uns behaupten muessen. Es gibt alle moeglichen Kampfsituationen im Alltag, alle moeglichen Abgrenzungsprozesse, die deutlich machen, wer wir sind und wohin wir uns entwickeln. Das Bunker-Bauen beginnt zu Hause. Das Szenenbild von Trigger beinhaltet Bauten, die an hybride Heimbunker in verschiedenen Baustadien erinnern, womit metaphorisch auf diesen Prozess der Grenzbefestigung an der Heimatfront hingewiesen werden soll. RA: Du sprichst von den drei Bauten, die du als Filmset in der Ausstellungshalle errichten wirst: einen Bunker, eine Holzwand mit Fenster und ein Haus aus Hohlblocksteinen. Aber du verweist auch auf Kampfsituationen im taeglichen Leben und auf persoenliche UEberwachung. Wie sehen die privaten Bunker aus, die wir deiner Meinung nach als Folge zunehmender UEberwachung des Alltaglebens errichten? JC: UEberwachung kann dazu beitragen, eine Art Sicherheitsblase zu erzeugen - einen Bereich, indem wir uns vor Verbrechen geschuetzt fuehlen. Befestigt wird sie durch Ideologien und Gewohnheiten. Sie ist ausserdem Teil eines Subjektivierungsprozesses, eine Blase der Verinnerlichung, die hilft, die Konturen der eigenen Identitaet festzuschreiben. Da besteht auch ein Zusammenhang zur Ausbildung von Gruppenidentitaeten. Dem Ganzen ist eine mobile und vielgestaltige Architektur eigen. Wir haben alle unsere kleinen Befoerderungsmittel, in denen wir wie in Autos umherfahren, in einer Kultur, die zwischen der Atomisierung in kleinste Einheiten und grossen Vereinheitlichungen oszilliert, wobei sich letztere in Konzepten wie dem nationalen Raketenabwehrsystem niederschlagen. RA: In frueheren Interviews hast du erklaert, in den Projekten Drive (1998-2000) und Heatseeking (1999-2000) ginge es hauptsaechlich um Bewegung, Stroemungen und die Rhythmen des Koerpers. Obwohl auch diese beiden Serien einen Gewaltaspekt aufweisen, scheint Trigger viel mehr noch vom Sehen als Waffe zu handeln. Eine jahrzehntelange Zunahme der Kameraueberwachung hat dazu gefuehrt, dass sich die Menschen inzwischen mit dem Gedanken angefreundet haben, staendig beobachtet zu werden. Hat sich die Situation entspannt? JC: Ja. Deswegen sind in diesem Zusammenhang zwei Dinge fuer mich interessant: Erstens die Erotik, denn es gibt eine sinnliche Lust, beobachtet zu werden, die wir gerade erst entdecken und die mit bestimmten politischen Themen, beispielsweise dem Recht auf Privatsphaere, schwer zu vereinbaren ist. Beobachtet zu werden, das eigene Privatleben dem Blick eines anderen auszusetzen, kann etwas entschieden Erotisches haben, vor allem fuer eine juengere Generation. Das Zweite ist die Politik. Denn wir duerfen nicht die Augen verschliessen vor den Kraeften, die diese Entspannung foerdern. Wann immer UEberwachung mit mehr Schutz oder Sicherheit gerechtfertigt wird, ist hoechste Alarmbereitschaft angezeigt. Diese kuschelige, freundliche UEberwachung - gerechtfertigt im Namen von Annehmlichkeit, Sicherheit, Effektivitaet und Zuverlaessigkeit und stilvoll kaschiert mit einem modernen Dekor - ist eine gefaehrliche Sache, wenn sie ihre politischen Aspekte verloren hat. Wir reden hier groesstenteils nicht mehr von UEberwachungskameras, sondern von an Datenbanken angeschlossene Verfolgungsnetzwerke, die in ihrer zunehmenden Omnipraesenz genau so eindringlich sind. RA: Trigger hat etwas entschieden Erotisches und doch hast du einige Szenen mit explizit sexuellem Charakter gestrichen. JC: Diese geplanten Szenen werden alle noch da sein. Ich habe lediglich die Erklaerungen gestrichen, weil es so schwierig ist, diesen erotischen Aspekt in Worte zu fassen. Ich habe beschlossen, das erotische Spiel visuell und strukturell durchzufuehren, ohne den Wunsch zu verspueren, darueber zu schreiben. Ich moechte darueber keine Theorien aufstellen - es soll vielmehr etwas sein, das die Theorie aufhebt, etwas, das sich unterhalb der Oberflaeche abspielt und all die sauberen Schluesse, die wir ziehen, in Frage stellt. Die Erotik ist gewissermassen der grosse Andere. Wir muessen darauf achten, was sie uns erzaehlt, doch was sie uns erzaehlt unterliegt nicht unserer Rechtsordnung. Die Frage ist, wie soll man diese Spannung aufrechterhalten und daraus eine Politik ableiten - eine Politik, die scheinbar ihre genaue Antithese beinhaltet. RA: Eine Politik des Erotischen? Da kann ich dir nicht mehr folgen. JC: Ich weiss auch nicht genau, was das bedeutet. Es ergibt keinen Sinn, aber ich schaetze, genau darum geht es. Es ist eine Politik, die sich selbst aufloesen wuerde. Irgendwie versuche ich das durch Bilder und Diagramme deutlich zu machen. Es ist wie Lyotards Figur der Matrix - eine "Form", die Wiederholungen errechnet, die letztendlich aber keine richtige Form, sondern eine Art Antiform ist. Grundlegend koennte man sagen, wenn es einen Eros der Macht gibt, dann gibt es auch eine Politik dieses Eros. RA: Die Erotik ist nicht nur der grosse Andere, sie ist auch die Variable in der systematisierten Maschine. Wenn ich ueber die Rolle des Erotischen in einem moeglichen elektronischen menschlichen System nachdenke, kommen mir allerlei romantische Vorstellungen in den Sinn wie die "Liebe", die Gesetze bricht und das Netzwerk kurzschliesst. JC: Schoen gesagt! Kurzschliesst, aber auch neu vernetzt, auf eine vielleicht nicht ganz funktionelle Art. RA: Im Storyboard zu Trigger bezeichnest du den Soldaten als eine integrierte Waffenplattform. Seit Anbeginn der Zeit versuchen Armeen, ihre Soldaten durch Erweiterung ihrer Faehigkeiten effizienter zu machen - in juengster Zeit mit elektronischen Waffen. Doch seit dem 11. September erscheint Hightech eher als Schwaeche denn als Staerke. Schliesslich sind die terroristischen Angriffe auf deinen Wohnort New York durch "Lowtech" aber "High Concept" gekennzeichnet. Und das erwies sich als ausgesprochen effizient. Hast du deine Ansichten zur integrierten Waffenplattform dadurch in irgendeiner Form veraendert? JC: In allen Bereichen des Militaers werden Anstrengungen unternommen, um das menschliche Netzwerk enger mit dem Ruestungs- und Kampfnetzwerk zu verknuepfen. Im "Land Warrior"-Programm der Armee beispielsweise, das sich zurzeit noch in Entwicklung befindet, sind die Soldaten mit einem Spezialhelm ausgeruestet, der es ihnen ermoeglicht, bei allen Wetterbedingungen, Tag und Nacht und mit 360°-Rundumsicht zu sehen. Sie sind an Kommunikationsnetzwerke angeschlossen und erhalten ueber ein Helmdisplay Echtzeitinformationen, die vor ihrem Gesichtsfeld ablaufen. Das Ziel ist eine effizientere, toedliche, vernetzte Kampfmaschine. Fast schon ein "Borg", der Soldat als Teil eines "Bienenstock-Bewusstseins". Es gibt sogar den militaerischen Begriff der "Schwaermer": kleine, wendige, hoch mobile Soldatengruppen, bewaffnet mit einer Fuelle von Kommunikationsgeraet und vernetzten Waffen und in direkter Verbindung mit schwerer Luftunterstuetzung. In Afghanistan feuerten Soldaten Handlasergeraete auf feindliche Ziele, die gleichzeitig von Flugzeugen aus mit lasergelenkten Raketen beschossen wurden. Bodentruppen, Satellitensysteme, Flugzeuge und Praezisionswaffen bilden einen nahtlosen Fluss, der von verschiedenen Befehlszentralen aus gesteuert wird. Das ist der Soldat als integrierte Waffenplattform. Ich glaube nicht, dass der 11. September etwas an dieser Idee oder an dem unerschuetterlichen Glauben der USA an die Hochtechnologie geaendert hat. Was sich dadurch geaendert hat, sind die Gruende, mit denen wir verstaerkte Militaerpraesenz, und verstaerkte Polizeipraesenz ganz allgemein, rechtfertigen - bis hin zu einer Art integrierter UEberwachungsplattform. Die OEffentlichkeit ist derart veraengstigt, dass die Machtinstanzen des Militaers, FBI und CIA, und diverse andere UEberwachungs- und Kontrollbehoerden zunehmend ein Beduerfnis befriedigen. Ich glaube kaum, dass die USA zugeben wuerde, dass Hochtechnologie in irgendeiner Hinsicht eine Schwaeche darstellt. Es bedeutet einfach nur, dass die Technologie noch nicht gut genug ist. RA: Was ist mit "menschlichen Aufklaerern" alias Spionen? Wie in den Filmen ueber den Zweiten Weltkrieg, wo sich Spione in dunkler Nacht auf Bruecken treffen, die Lager der Gegenseite infiltrieren und unter Decknamen agieren. Es scheint, als gaebe es mehr als genug Daten, aber nicht genuegend menschliche Ressourcen, um all diese Daten auszuwerten. JC: Ja, aber der Mensch ist dazu da, um in die Technologie eingespeisen zu werden. Er ist ein Teil von ihr. Die menschliche Aufklaerung ist mit der Maschine verbunden. Sie wird durch maschinelle Systeme weitergegeben. Der Mensch wird zu einer notwendigen Komponente - er bleibt nie aussen vor. Aber sein Wert besteht darin, fuer eine Integration mit den Aufklaerungs- und Kommunikationssystemen anpassungsfaehig zu sein (und vice versa). Die Technologie legt die Bedingungen fest, sie modifiziert die Faehigkeiten des Menschen. Doch letztendlich ist Technologie nur eine Erfindung des Menschen, sein verlaengerter Arm. Menschen, Maschinen und Kampfsysteme sind untrennbar miteinander verbunden, und es ist nicht unbedingt klar, wo eine Komponente aufhoert und die andere anfaengt. Du hast voellig Recht, wenn du sagst, dass es nicht genuegend menschliche Ressourcen gibt, um die Daten zu verarbeiten und auszuwerten. Doch wie lautet unsere Antwort darauf? Noch mehr und noch bessere Maschinen zu bauen. RA: Was waere die Grundlage fuer eine "integrierte Kontrollplattform"? An Stelle von geladenen "Einzelagenten" haetten wir ... JC: ... ehemals isolierte Datenbanksysteme in einem Netzwerkverbund. Gemeinsame Schnittstellen, um Daten verschiedenen Aufklaerungs- und UEberwachungsbehoerden moeglichst gleichzeitig zugaenglich zu machen, wodurch das Misstrauen zwischen einzelnen Regierungsbehoerden, die traditionell von einander abgeschirmt waren, schwinden wuerde. Neue Allianzen zwischen Polizei, Militaer und der Industrie. Neue Kooperationen zwischen verschiedenen Laendern, um Wissensdaten gemeinsam zu nutzen. RA: Denkst du da an die Privatisierung des Militaers? Ist das Sciencefiction, oder finden tatsaechlich Bemuehungen in diese Richtung statt, die ueber die Traditionen der Miliz hinausgehen? JC: Militaer und Industrie sind bereits sehr eng miteinander verwoben. Ausserdem herrscht zwischen diesen beiden Sektoren eine starke symbiotische Kraft, die es nicht gaebe, wenn sie vollstaendig ineinander aufgingen. Das Militaer ist "Business" mit anderen Mitteln. Es muessen immer noch Alternativmassnahmen bereit stehen. Wir werden von einem Kriegs- und Arbeitsapparat gestuetzt. Im Arbeitsleben haben wir ein Werkzeug, im Krieg eine Waffe. RA: Um bei der Frage einer Integration von Polizei, Militaer und Industrie zu bleiben: Was haette dies fuer Auswirkungen fuer die Persoenlichkeitsrechte? Werden sie deiner Meinung nach obsolet? Dazu fallen mir alle moeglichen Schlagworte ein wie "Neue Weltordnung", "Globalisierung", "Kampf gegen den Terror" usw. JC: Es hat im Internet so viele Diskussionen zum Recht auf Privatsphaere gegeben, und es wurden zahlreiche Versuche unternommen, dieses ueberaus dringliche Thema zum Politikum zu machen. Gleichzeitig haben einige Leute versucht, die Scheidelinie zwischen 'privat' und 'oeffentlich' neu zu formulieren, indem sie unter anderem vorschlugen, eine vereinheitlichte Vorstellung von Privatsphaere durch eine heterogene wie "Intimitaetszonen" zu ersetzen. Doch zumindest in den USA ist diese Diskussion erfolglos geblieben, das Thema draengt nicht mehr. Die Leute sind bereit, auf Privatsphaere zu verzichten, wenn es fuer sie ein groesseres Mass an Bequemlichkeit, Zeitersparnis und Sicherheit bedeutet - gerade jetzt nach dem 11. September. Die Sorge um Sicherheit laesst jede Sorge hinsichtlich einer bedrohten Privatsphaere vergessen. Damit hat sich dieses strapazierte Thema gewissermassen erledigt. Es muss daher dringend zum Politikum erklaert werden, gerade in Anbetracht einer fehlenden Opposition zur Ausweitung staatlicher Macht, die einzelne Buergerrechte bedrohen koennte. Allerdings bedarf die Begrifflichkeit dieser Diskussion einer UEberarbeitung. Der Ausdruck "Privatsphaere" muss differenziert werden: er hat zu viele Facetten. RA: Muss Privatsphaere neu definiert werden? JC: Es geht darum, zu entscheiden, was unbedingt geschuetzt werden sollte und wogegen. Das veraendert sich mit der Zeit und den wechselnden Kulturen, es ist keine feste Groesse. RA: Stellen wir uns ein Worst-Case-Szenario vor: In zwanzig Jahren ist absolut alles vernetzt, es gibt keine Schlupfloecher mehr. Was dann? Kannst du irgendwelche Voraussagen treffen, wie sich die Menschen verhalten werden? In deiner Arbeit laden die verschiedenen Kameraperspektiven die Atmosphaere auf. Glaubst du, das haette denselben Effekt auf den Alltag? JC: Neue Ermittlungsmethoden werden immer mit neuen Taeuschungsmethoden gekontert. Es ist ein ewiger Tanz zwischen den beiden Strategien. Ich halte eine totale UEberwachung fuer unmoeglich. Es wird immer Dinge geben, die unter dem Radar durchschluepfen. Im Kosovo-Krieg haben wir teure praezisionsgelenkte Raketen auf billige Scheinpanzer abgefeuert. Genau wie das serbische Militaer als strategischen Schachzug seinen Radar abgeschaltet hat, um ihre Bodenstationen fuer die elektronische Luftaufklaerung der NATO-Streitkraefte unkenntlich zu machen. Man kann sogar beobachten, wie sich dieser Tanz zwischen Entdeckung und Taeuschung in neuen Materialformen niederschlaegt. Das beste Beispiel ist die Form des Tarnkappenbombers, der als eine Baureihe von Flachflugzeugen gebaut wurde, um der feindlichen Radarerfassung zu entgehen. Wir selbst wollen alles sehen und gleichzeitig der Entdeckung durch andere entgehen; und unsere Gegner wollen genau dasselbe. Daher bewegt sich der Fortschritt in der Ortungstechnologie weniger wie ein Vektor in eine Richtung, sondern eher wie eine Matrix. Fortschritt verlaeuft in Matrizen des Entdeckens und Entgehens unter aggressiven Akteuren, die jeweils versuchen, dem anderen einen Schritt voraus zu sein. Daher interessiert es mich mehr, die leistungsfaehigeren UEberwachungsformen plastisch darzustellen, als nur daran zu denken, dass wir vor der totalen UEberwachung stehen. Mich interessieren die genialen Methoden, die wir erdenken, um das Signal zu stoeren. Es zu uebernehmen, es auf eine oft weiche und wogende und gar nicht kantige Art umzuformen. Es ist viel ueber Voyeurismus geschrieben worden, ueber die Erotik des Sehens. Doch mich interessiert viel mehr die Erotik des Gesehenwerdens - von einem Beobachter, dessen man sich bewusst ist - und die Frage, wie diese mit den Ermittlungsmethoden und der Auflockerung der Aktionsfelder zusammenhaengt. Das Spielfeld ist oft nicht dort, wo wir es erwarten, oder nicht den uns bekannten Codes gemaess strukturiert. Trotz des exponentiellen Machtzuwachses der UEberwachungstechnologie muessen wir letzten Endes noch immer wissen, wohin wir schauen, und das ist der Raum, der von den Spielern staendig neu formuliert wird. RA: Kommen wir noch einmal zum klassischen Erzaehlkino zurueck. Jeder haelt sich an die Regeln, aber die Liebe setzt sich darueber hinweg. In deiner Arbeiten gibt es jedoch keine richtige "Geschichte", oder? JC: Eigentlich nicht, obwohl sie eine gewisse erzaehlerische Zugkraft besitzen und man alle moeglichen Geschichten in sie hinein interpretieren kann. Doch ich hoffe, das zu verhindern, genau wie ich hoffe, Gegensatzpaare wie Konstruktion/Anarchie oder Anziehung/Abstossung zu verhindern. Meine Arbeiten sind wie Systeme aufgebaut, entlang der Linien verschiedener Schaltkreisdiagramme und ich denke, sie haben eher eine matrixartige Struktur, beinahe wie eine Datenbank. Doch ich muss zugeben, dass Trigger fuer mich - auf einer gewissen Ebene - auch eine Liebesgeschichte ist. Es ist ein Werben zwischen den beiden Akteuren, zumindest in einer Datenbankrealitaet. Januar 2002 ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste fuer Medien- und Netzkultur Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/ Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/