Krystian Woznicki on Wed, 22 May 2002 08:07:08 +0200 (CEST) |
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[rohrpost] Re: SMS-Encounters |
Anbahnung per SMS Eine Ausstellung über die Liebe im Heimatmuseum Neukölln Martin Z. Schröder Glaubst du eigentlich an Liebe auf den ersten Blick? Oder muss ich noch mal an dir vorbeigehen?" "Hast du das Piepsen vernommen? Richtig, eine SMS ist gekommen. Mitgeschickt habe ich einen Kuss, weil ich gerade an dich denken muss." Im Heimatmuseum Neukölln wurde eine Ausstellung über die Liebe eröffnet. Was gibt es denn da auszustellen? Auf einem großen Handy jagen sich SMS-Nachrichten, Tanzschuhe sind zu sehen, ein vom Leib gerissenes Hemd, Briefe, das erste Geschirr für die gemeinsame Wohnung, viele Fotos und, so wenig lockend es zuerst klingt: die Geschichten zu den Gegenständen von 20 Neuköllner Liebenden. Texte also. Geschriebenes im Museum? Zur Lektüre sich die Beine in den Bauch stehen? Wunderbarerweise geht das Konzept auf. Und das Wunder ist ja auch einfach zu erklären, es geht um die Liebe, und was sonst macht derart neugierig? Wie haben sie es zu Stande bekommen? Wie mutig darf man sein? Ach, das erinnert mich an die Geschichte mit ... Wie sehr sich die Bevölkerung geändert hat, erkennt man an den Namen. Gudrun und Eberhard, Silvia und Heinz hießen sie früher. Heute heißen vier elf- bis 13-jährige Mädchen aus dem Madonna-Mädchentreff Özge, Kader, Buket und Seynab - und die 18-jährige Tanja sagt, echtes Weihwasser gibt’s nur in der Kirche, mit den Billigkerzen aus dem 99-Pfennig-Laden wirke der Liebeszauber nicht, den die Mädchen über ein paar ältere Jungen verhängen wollen. Weil es mit dem Weihwasser nichts wird, versuchen sie es als Girlgroup The Lil’ Devils, eine Hörprobe gibt es im Museum. Die Neuköllner Geschichten beschreiben die Liebe zwischen Jungen, zwischen Alten, zwischen Männern und Frauen, zwischen Frauen, zwischen Männern, erzählen von Hoffnung, dauernder Erfüllung und schneller Enttäuschung, und all das findet sich zwar ohne die hübschen Ausstellungsstücke, die den Schilderungen Authentizität geben, dafür aber ausführlich in einem schönen Begleitband wieder - neben einem Mini-Essay von Thomas Kapielski, einer Schulliebesgeschichte von Horst Bosetzky, Verlobungs- und Hochzeitsfotos aus dem Neuköllner Atelier Reinwarth, einer SMS-Affäre sowie der Anbahnung einer richtigen per SMS und den zu leichter Lesbarkeit hervorragend bearbeiteten Interviewmitschnitten der 20 Neuköllner Liebeserfahrenen im Alter von 14 bis 76 sowie einem Spaziergang über drei Friedhöfe in Neukölln von Patrick Baltzer. Ein wirklich aus dem Vollen geschöpftes Liebeslesebuch also. Bis der mit 49 Pflanzen angelegte Liebesgarten im Atrium des Heimatmuseums duftet und die Liebeslaube zugewachsen ist, dauert es noch ein bisschen. Aber die Ausstellung geht bis zum nächsten Frühjahr, so lange zeigt sich Neukölln als liebenswerter Liebeshort. Romeo und Julia in Neukölln Heimatmuseum Neukölln, Ganghoferstraße 3, Mi-Fr 13-18, Sa/So 12-18 Uhr. Katalog hrsg. von Udo Gößwald im Katrin Kramer Verlag Berlin; 152 S., 12,50 Euro. http://www.berlinonline.de/aktuelles/berliner_zeitung/feuilleton/.html/144294.html ------------------------------------------------------- rohrpost - deutschsprachige Liste fuer Medien- und Netzkultur Archiv: http://www.nettime.org/rohrpost http://post.openoffice.de/pipermail/rohrpost/ Ent/Subskribieren: http://post.openoffice.de/cgi-bin/mailman/listinfo/rohrpost/